Auszug aus OSSIETZKY Nr. 22 v. 30.10.2010
(Die Akte Gössner und andere Geheimdienst-Geheimnisse: „Verfassungsschutz in
Aktion“)
Nachdruck nur mit
vorheriger Zustimmung
Dauerüberwachung eines Bürgerrechtlers
Vier Jahrzehnte unter geheimdienstlicher
Beobachtung des Verfassungsschutzes
Am 3.
Oktober fand im Berliner »Haus der Demokratie und Menschenrechte« eine von der
Zweiwochenschrift Ossietzky und der Internationalen Liga für Menschenrechte
veranstaltete Tagung zum Thema Geheimdienste statt. Wir veröffentlichen Auszüge
aus der überarbeiteten Fassung eines Vortrags von Rechtsanwalt Dr. Rolf
Gössner, der die Überwachungspraktiken des Verfassungsschutzes am eigenen Leib
erfahren hat. Die ungekürzte Fassung des Beitrages, der auch die
geheimdienstliche Durchleuchtung von Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der
Linkspartei im Thüringer Landtag, thematisiert, ist in der Ausgabe von Ossietzky
Nr. 22 vom 30.10.2010 erschienen:
www.sopos.org/aufsaetze/4cd2964854b77/1.phtml
(…)
Daß Geheimdienstakten weitgehend verschlossen bleiben und der Geist des Kalten
Kriegs auch 20 Jahre nach dessen Ende noch immer nicht überwunden ist, das illustrieren
zwei aktuelle Überwachungsfälle, die im Folgenden näher beleuchtet werden
sollen: der Fall Ramelow und mein eigener Fall. (…)
© Rolf Gössner
Rekordverdächtige
Überwachungsgeschichte
Ich komme zum zweiten Fall, jetzt in
eigener Sache, so daß es nun zwangsläufig auch persönlicher wird. Wie
inzwischen nachgewiesen, bin ich seit 1970 fast vier Jahrzehnte lang
ununterbrochen vom Bundesamt für VS beobachtet und ausgeforscht worden – eine
der längsten dokumentierten Überwachungsgeschichten in der Bundesrepublik.
Geheimdienstlich beobachtet wurde ich als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar
und seitdem ein ganzes Arbeitsleben lang in allen meinen beruflichen und
ehrenamtlichen Funktionen – also als Publizist, Rechtsanwalt, Parlamentarischer
Berater, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte,
Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reports und der Zweiwochenschrift Ossietzky sowie auch als Mitglied der Jury zur Verleihung des
Negativpreises „BigBrotherAward“.
Ich erlebe es immer wieder, daß viele Menschen in
ungläubiges Staunen verfallen, wenn sie von dieser rekordverdächtigen
Überwachungsgeschichte erfahren. Kann das wirklich wahr sein, oder leidet da
einer an Verfolgungswahn? Redet der von Stasi-Methoden oder vom bundesdeutschen Rechtsstaat? Und tatsächlich:
Womit hat jemand in diesem Land der freiheitlich demokratischen Grundordnung
verdient, sein gesamtes Studenten-, Ausbildungs- und Arbeitsleben – vier von
sechs Lebensjahrzehnten hindurch – ununterbrochen von einem Geheimdienst beobachtet
und ausgeforscht zu werden? Das muß doch gute Gründe im bösen Tun haben. Warum
sonst wird ein Bürger dieses Landes quasi als gefährlicher Staats- und
Verfassungsfeind einer solch „fürsorglichen Belagerung“ (Heinrich Böll) unterzogen?
Tatsächlich geht es um mein gesamtes bewußtes Leben
– und um das, was der Verfassungsschutz aus seiner selektiven, ideologisch
motivierten Sicht aus diesem Leben macht: Er zeichnet in Personenakten und
Schriftsätzen ein aus zeitgeschichtlichen Zusammenhängen herausgerissenes Bild,
konstruiert abstruse Anschuldigungen und bedient sich einer geradezu
inquisitorischen Beweisführung. Heraus kommt ein denunziatorisches Feind- und
Zerrbild, in dem ich mich nicht wieder erkenne und vor dem ich, auf den ersten
Blick zumindest, selbst erschrecken würde. Letztlich geht es um die
Deutungshoheit über ein politisches Leben, über politisches Handeln und politische
Kontakte, deren sich der Verfassungsschutz mit seiner obsessiven Gesinnungsschnüffelei
und seiner amtlichen Interpretation oder besser: Fehlinterpretation bemächtigte.
Nun versuche ich, mir diesen Teil meiner eigenen Lebensgeschichte wieder
anzueignen, um die Deutung politischer Vorgänge und Entwicklungen nicht einem
letztlich unkontrollierbaren und skandalträchtigen Geheimdienst zu überlassen.
Und ich mußte mich dabei auch der bangen Frage stellen, was das Wissen um meine
Beobachtung und die Negativbewertung durch den Verfassungsschutz mit mir und
aus mir gemacht hat, ob sich mein Verhalten dadurch etwa verändert, ob ich mich
womöglich schleichend anpasse, Themen oder Kontakte meide – ob also die Schere
im Kopf seitdem klammheimlich ihr zerstörerisches Unwesen treibt.
Aufstehen gegen die
permanente Einschränkung von Bürgerrechten:
Rolf Gössner als Redner bei der »Freiheit statt Angst«-Demo 2009 - Foto: AK
Vorrat
Diese Aufarbeitung und Selbsthinterfragung muß
öffentlich geschehen. Denn auch die bundesdeutsche Gesellschaft und ihre
kritischen Mitglieder müssen sich angesichts eines solch exemplarischen Falles
die dringliche Frage stellen, was all dies für die Meinungs- und
Pressefreiheit, für Mandatsgeheimnis und Informantenschutz, für
Dialogbereitschaft und Offenheit in diesem Land bedeutet. Insofern handelt es
sich um ein brisantes Lehrstück in Staatskunde, ein Lehrstück in Sachen
Bürgerrechte und Demokratie. Selbstverständlich ist dies kein Einzelfall,
schließlich gab und gibt es zahlreiche andere Fälle von Bespitzelung mit zum
Teil weit gravierenderen Folgen, und zwar in allen Jahrzehnten seit Bestehen
der Bundesrepublik: ob in den Zeiten der Kommunistenverfolgung der 1950er und
60er Jahre, in Zeiten des Deutschen Herbstes der 70er Jahre oder erstarkender
politisch-sozialer Bewegungen der 80er Jahre; auch nach dem offiziellen Ende
des Kalten Krieges bis heute sind Parteien, Gewerkschaften und politische
Organisationen bespitzelt und infiltriert worden. Die Überwachungs- und
Skandalgeschichte des Verfassungsschutzes ist jedenfalls ellenlang.
Was wirft mir dieser euphemistisch
„Verfassungsschutz“ titulierte Geheimdienst durch die Jahrzehnte hindurch
eigentlich vor? Zunächst legte er mir meine beruflichen und ehrenamtlichen
Kontakte zu angeblich linksextremistischen und „linksextremistisch
beeinflußten“ Gruppen zur Last. Dazu zählen politische Parteien wie die DKP,
Organisationen wie die Rechtshilfegruppe „Rote Hilfe“ oder die Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes (VVN), aber auch Presseorgane wie Demokratie und Recht, Blätter für deutsche und internationale
Politik, Geheim, junge Welt oder Neues Deutschland, in denen ich neben vielen anderen Medien
veröffentliche oder interviewt werde.
Nun, jeder Autor und jeder Referent freut sich über
eine treue und kritische Leser- und Zuhörerschaft. Und so nahm ich durchaus mit
Genugtuung zur Kenntnis, daß Bedienstete des Bundesamtes über mehrere
Beamten-Generationen hinweg zu meinen treuesten Mitlesern und Mithörern
gehörten – leider auch zu den verständnislosesten und böswilligsten.
So wurde durch die Jahrzehnte hindurch alles
registriert, was ich von mir gegeben habe: ob in gedruckter Form, als Artikel
oder im Interview. Selbst Berichte über mich und meine Bücher wurden gesammelt
und mir zur Last gelegt, wenn sie in besagten inkriminierten Medien erschienen
sind. Desgleichen interessierte sich der Geheimdienst für meine Äußerungen,
wenn ich referierte und diskutierte, etwa in öffentlichen Veranstaltungen und
auch geschlossenen Sitzungen. Das Bundesamt identifizierte mich dabei
unzulässigerweise mit den Medien, in denen ich publizierte, mit den Veranstaltern,
bei denen ich referierte und Diskussionen führte, und mit meinen Mandanten, die
ich beraten habe.
Vorwurf: »Kontaktschuld«
Eigene verfassungsfeindliche Ziele und Beiträge
wurden mir zunächst nicht unterstellt. Also: Nicht was ich sagte oder schrieb,
war für die Beobachtung entscheidend, sondern in welchem politischen Umfeld
dies geschah. Meine diesbezüglichen Kontakte verdichtete das Amt zu einem
regelrechten Kontaktprofil, das mir als eine Art „Kontaktschuld“ angelastet
wird. Hieraus folgert das BfV schließlich messerscharf eine „nachhaltige
Unterstützung“ solcher nicht verbotenen,
aber als „linksextremistisch“ geltenden Personenzusammenschlüsse und
Presseorgane, die ich – so wörtlich –, als „prominenter Jurist“ aufgewertet und
gesellschaftsfähig gemacht haben soll.
Dabei haben die Verfassungsschützer alle Not, die
jahrzehntelange Überwachung einer Einzelperson, die in keiner politischen
Organisation oder Partei organisiert war, nur auf deren Kontakte zu stützen und
mit „nachhaltiger Unterstützung“ zu rechtfertigen. Deshalb verstieg sich das
Bundesamt zu folgender abenteuerlichen Konstruktion: „Dabei agiert er ganz
bewußt nicht als Mitglied einer offen extremistischen Partei oder Organisation. Nicht etwa, weil er sich von den
verfassungsfeindlichen Zielen der unterstützten Organisationen distanziert,
sondern weil er so seine Glaubwürdigkeit nach Außen als vermeintlich unabhängiger
Experte zu wahren versucht.“
Darin steckt die diffamierende Behauptung, ich sei
seit Jahrzehnten taktisches Nichtmitglied diverser, durchaus disparater
extremistischer Parteien oder Organisationen – sozusagen als ideeller
Gesamtlinksextremist.
Doch dabei blieb es nicht. Das Bundesamt ließ im
Laufe der Zeit die Anschuldigungen gegen mich stufenweise eskalieren – so mit
dem Vorwurf, ich sei nicht nur Unterstützer, sondern zeitweise doch auch
Mitglied in „linksextremistischen Personenzusammenschlüssen“ gewesen: nämlich
im Sozialdemokratischen/Sozialistischen Hochschulbund (SHB) und in der
Redaktion des geheimdienstkritischen Magazins Geheim. Vorläufig letzte Eskalationsstufe: Das BfV zieht nun auch
das von mir Geschriebene und Gesagte in Mißkredit und setzt es dem Verdacht der
Verfassungsfeindlichkeit aus. Mit meiner „diffamierenden“ Kritik der bundesdeutschen
Sicherheitspolitik, der Sicherheitsorgane und besonders des Verfassungsschutzes,
darüber hinaus mit meiner Kritik am KPD-Verbot und an den Berufsverboten (die
es in der Bundesrepublik nach offizieller Lesart nie gab), so der
Geheimdienst-Tenor, wolle ich den Staat wehrlos machen und den linksextremistischen
Bestrebungen und der revolutionären Umwälzung schutzlos ausliefern. Außerdem
wird mir meine fehlende Distanzierung von der DDR, der Stasi, der UdSSR, dem
Gulag und allen Verbrechen des Kommunismus zur Last gelegt – gleichzeitig werde
ich der einseitigen Kritik am Westen bezichtigt. Brauchen wir dazu einen Inlandsgeheimdienst?
Von meiner Überwachung habe ich erfahren, weil ich
1996 beim Bundesamt einen Antrag auf Auskunft über die dort zu meiner Person
gespeicherten Daten gestellt hatte. Als Antwort bekam ich ein Personendossier
mit einer Sündenliste – Artikel, Interviews und Reden in den falschen Zeitungen
oder Veranstaltungen –, die bis 1970 zurückreichte. Etwa alle zwei Jahre fragte
ich erneut nach, um das jeweils neueste Sünderregister kennenzulernen, das mir
dann auch prompt zugeschickt wurde.
Da die Überwachung munter weiterging, auch in
Zeiten der rot-grünen Bundesregierung, reichte ich Ende 2005 über meinen
Freiburger Anwalt Dr. Udo Kauß beim zuständigen Verwaltungsgericht Köln Klage
gegen die Bundesrepublik Deutschland ein, um vollständige Einsicht in meine
Personenakten zu bekommen sowie die jahrzehntelange Überwachung gerichtlich für
rechtswidrig erklären zu lassen.
Ein Ende dieses Prozesses ist nach fast fünf Jahren
immer noch nicht abzusehen – aber es ist einiges passiert. Das Gericht hat das
Bundesamt dazu verdonnert, meine gesamte Personenakte seit 1970 bis 2007
vorzulegen, was inzwischen geschehen ist – zum überwiegenden Teil allerdings
mit geschwärzten Textstellen; ganze Seiten sind entnommen. Von allen über 2.000
mir vorgelegten Aktenseiten sind circa 1.750 Seiten ganz oder teilweise unleserlich
oder manipuliert oder gar nicht vorgelegt worden, also etwa 85 Prozent; nur
rund 15 Prozent sind offen und vollständig lesbar.
Die Verheimlichung ganzer Aktenteile geht auf
umfangreiche Sperrerklärungen des Bundesinnenministeriums als oberster
Aufsichtsbehörde des Bundesamtes zurück.
Begründung: Würde ihr Inhalt bekannt, könnte dies dem „Wohl des Bundes oder eines
Landes Nachteile bereiten“; die Funktionsfähigkeit des VS würde beeinträchtigt,
wenn verdeckte Arbeitsweise und operative Interessen bekannt werden (das nennt
sich dann „Ausforschungsgefahr“). Und die Geheimhaltung diene in erster Linie
dem Schutz der Informationsquellen, deren Identität nicht enttarnt werden dürfe
(„Quellenschutz“); denn eine Enttarnung dieser „Quellen“ könne zu einer
„Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Freiheit“ von V-Leuten, Hinweisgebern
und VS-Bediensteten führen. Als ob die – wohl von mir und meinesgleichen –
Repressalien zu befürchten hätten.
Geheimhaltungsinteresse mit fatalen Folgen
Gegen diese Aktenverweigerung klagte ich vor dem
Bundesverwaltungsgericht, um Sperrerklärungen und Geheimhaltung in einem
sogenannten In-camera-Verfahren, einem rechtsstaatlich problematischen Geheimverfahren,
überprüfen zu lassen. Nach ihrer Auswertung der gesperrten Aktenteile in geheimer
Sitzung in einem abhörsicheren Raum und ohne meine Mitwirkung kamen die
höchsten Verwaltungsrichter zu dem Ergebnis, daß diese Aktenteile weiterhin aus
Gründen des Quellenschutzes, der Ausforschungsgefahr und des Staatswohls geheim
gehalten werden müßten. Somit wird das Verwaltungsgericht Köln nur auf dieser äußerst
eingeschränkten Beweisgrundlage seine Entscheidung über Rechtmäßigkeit oder
Rechtswidrigkeit der Dauerbeobachtung treffen können. Und das soll rechtsstaatlich
sein?
Trotz dieser höchstrichterlich abgesegneten
amtlichen Beweismittelunterdrückung im staatlichen Geheimhaltungsinteresse ist
die verbleibende Dokumentensammlung dennoch recht aufschlußreich. So hat mich
sehr erstaunt, wie viele Behörden, andere Stellen und Personen sich in meinem
Fall als denunziatorische Zuträger für den Verfassungsschutz betätigt haben und
wie viele Spitzelberichte über meine Referate und sonstigen Aktivitäten angefertigt
worden sein müssen.
Wenige Tage vor dem ersten Verhandlungstermin vor
dem Verwaltungsgericht Köln Ende 2008 teilte das BfV dem Gericht überraschend
mit, daß meine Beobachtung „nach aktuell erfolgter Prüfung“ durch das
Bundesinnenministerium und das Bundesamt eingestellt worden sei und die zu mir
erfaßten Daten löschungsreif seien und ab sofort bis zum rechtskräftigen
Abschluß des Verfahrens gesperrt würden. Ohne Klage wäre diese Entscheidung
wohl nie gefallen. Ob man jedoch der lapidaren Mitteilung Glauben schenken
kann, bleibt erstmal abzuwarten. Noch wenige Monate zuvor hatte das Amt auf
meiner weiteren Beobachtung bestanden – selbst auf die besorgte Nachfrage des
Vorsitzenden Verwaltungsrichters hin, ob nicht meine zwischenzeitlich erfolgte
Wahl zum Stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt
Bremen daran etwas ändern müsse. Nein, erklärte das Bundesamt forsch, auch
Richter könnten unter gewissen Voraussetzungen, die bei mir vorlägen,
beobachtet werden – trotz ihrer verfassungsrechtlich garantierten
Unabhängigkeit. Also ein vom Verfassungsschutz beobachteter „Verfassungsfeind“
als Verfassungsrichter? Bei so viel Widersprüchlichkeit kann man leicht die
Verfassung verlieren.
Erst kurz vor der mündlichen Verhandlung kam dann
die Kehrtwende. Einer der Gründe, weshalb ich jetzt plötzlich nicht mehr
beobachtet werden müsse, war höchst hörenswert: Die Bedrohungslage in der Bundesrepublik
habe sich geändert, die knappen Ressourcen müßten nun für andere Schwerpunkte
eingesetzt werden. Nach 38 Jahren, in deren Verlauf die DDR unter- und der
Kalte Krieg zu Ende ging sowie der internationale Terrorismus als neue Gefahr
erkannt wurde, gibt es also jetzt plötzlich eine neue Bedrohungslage, die eine
Umorientierung und Umschichtung im BfV erforderlich macht! Wahrlich ein Fall
für den Bundesrechnungshof wegen des Verdachts auf jahrzehntelange Verschwendung
öffentlicher Gelder.
Im Übrigen behauptete das Amt, ich sei nicht mehr
so viel in linksextremistischen Kreisen unterwegs. Offenbar eher eine Notlüge:
Denn meine inkriminierten beruflichen Kontakte haben nicht nachgelassen, es
sind eher weitere hinzugekommen, die dem Verfassungsschutz mißfallen und ihn zu
erneuter Überwachung reizen könnten; und auch meine Texte sind – so hoffen ich
und meine Leserschaft – keinesfalls harmloser geworden.
Es war schon ein eigenartiges Gefühl, nach so
langer Zeit fürsorglicher Dauerüberwachung plötzlich zu erfahren, daß man nicht
mehr unter geheimdienstlicher Beobachtung stehe, sozusagen außer Kontrolle und
staatsschutzlos. Doch ich fühlte mich zunächst erleichtert und war erfreut.
Denn ich hatte immer damit rechnen müssen, daß es letztlich keine
Vertraulichkeit mehr gab, ein Umstand, der auch mein gesamtes soziales Umfeld
erheblich irritierte; wie sich herausstellte, war diese Irritation nicht
unberechtigt. Ein ganzes Netzwerk von V-Leuten, Informanten und anderen Zuträgern
versorgte den Verfassungsschutz mit unzähligen Informationen, die von Bediensteten
des Bundesamtes fleißig gesammelt, gespeichert und bewertet wurden – im
diensteifrigen Bemühen, ein Phantom-Persönlichkeitsbild von mir zu zeichnen.
Ich mußte immer befürchten, daß bei meiner
publizistischen Arbeit meine oft heiklen Recherchen und Kontakte zu bestimmten
Informanten ausgespäht und meine Informanten dadurch gefährdet würden. Und tatsächlich
habe ich mehrfach erlebt, daß meine Kontakte etwa mit dem einen oder anderen
Informanten aus den Polizei- oder Geheimdienst-Apparaten ausgeforscht und
observiert wurden – die jeweiligen Whistleblower kannten schließlich die
Zuträger ihrer Behörde. Um meine Informanten dennoch so gut wie möglich zu
schützen, bedurfte es oft anstrengender Klimmzüge. In Einzelfällen mußten
Kontakte deshalb unterbleiben oder abgebrochen werden.
„Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt“
Auch als Rechtsanwalt und Strafverteidiger mußte
ich mit geheimdienstlicher Ausforschung rechnen. Seit meine geheimdienstliche
Überwachung nicht mehr zu verheimlichen war, sah ich mich genötigt, meine
Mandanten darüber aufzuklären. Ich hatte immer wieder mit besorgten
Ratsuchenden zu tun, die verständlicherweise Probleme hatten, sich mir unbefangen
anzuvertrauen. Manche sind abgesprungen; wie viele den Kontakt zu mir deshalb
erst gar nicht suchten, kann ich selbstverständlich nicht ergründen.
Das Mandatsgeheimnis und der Informantenschutz
waren jedenfalls so nicht mehr durchgängig zu gewährleisten, die
verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse zwischen Anwalt und
Mandant sowie zwischen Journalist und Informant waren erschüttert, meine
Berufsfreiheit und berufliche Praxis damit mehr als beeinträchtigt.
Meines Erachtens prallen in diesem Streitfall zwei
unterschiedliche politische Kulturen und Grundhaltungen aufeinander: auf der
einen Seite die Kultur oder eher Unkultur des Ausspähens, Stigmatisierens und
Ausgrenzens im Namen von Sicherheit
und Staatswohl, auf
der anderen die
Kultur der demokratischen Transparenz, des offenen und
kritischen Dialogs im Namen von Demokratie und Freiheit, den ich in allen
meinen beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten suche und führe – nicht
selten gegen den Mainstream und ohne allzu große politische Berührungsängste,
auch gegenüber Gruppen und Personen, die nicht verboten sind, ihrerseits aber
unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen und die allein deswegen in den
Augen vieler als verfemt oder geächtet gelten, etwa bestimmte kommunistische
oder kurdische Gruppen, islamische Gemeinschaften, Muslime oder sonstige
Migranten, die seit dem staatlichen Antiterrorkampf ihrerseits unter Generalverdacht
geraten sind.
Ich möchte es jedenfalls nicht hinnehmen, daß
verfassungskonforme und bürgerrechtliche Kräfte als Unterstützer
extremistischer Kreise stigmatisiert werden, sobald sie in ihrer Arbeit
bestimmte politische Spektren nicht ausgrenzen und gesellschaftlich isolieren,
sondern sie bewußt in den politisch-demokratischen Willensbildungsprozeß mit
einbeziehen. Kritischer Dialog und offene politische Auseinandersetzung dürfen
nicht unter geheimdienstliche Beobachtung und Kuratel gestellt werden. Das
würde keine Demokratie auf Dauer aushalten.
Ich möchte im Zusammenhang mit meiner
Überwachungsgeschichte an einen Ausspruch des Schriftstellers und
Hörspielautors Günther Eich erinnern, den ich in meinem Abitur 1967 mit Bedacht
als Aufsatzthema ausgewählt hatte und der in gewisser Weise zu meinem Lebensmotto
wurde: „Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt.“
© Dr. Rolf Gössner ist Vizepräsident der Internationalen Liga
für Menschenrechte (Berlin). Er lebt als Rechtsanwalt, Publizist und
parlamentarischer Berater in Bremen. Seit 2007 stellvertretendes Mitglied des
Bremischen Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen sowie
Mitglied/stellvertretender Sprecher der Deputation für Inneres der Bremischen
Bürgerschaft (Landtag) und der Stadtbürgerschaft. Autor zahlreicher Bücher und
Aufsätze zum Thema „Innere Sicherheit“ und Bürgerrechte, zuletzt: „Menschenrechte
in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der ‚Heimatfront’“ (Hamburg 2007).
Die ungekürzte Fassung des Beitrags erschien
in Ossietzky 22/2010, neben weiteren
Beiträgen zum Schwerpunktthema Geheimdienste von Ulla Jelpke, Manfred Wekwerth,
Wolfgang Wippermann und Eckart Spoo. Näheres zu Ossietzky, einzelnen Ausgaben und Texten unter: www.ossietzky.net sowie www.sopos.org/ossietzky/ Nachdruck
nur nach Rückfrage/Zustimmung: goessner@uni-bremen.de